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Fichten sind besonders gefährdet. Jedes stärkere Brausen der Lüfte, jede Sturmböe und jeder schräge Seitenwind können für sie ein Todesurteil sein. Schon knickt der Stamm, schon kippt der Wurzelstock zur Seite. Feuerwehr, Motorsäge, Hackschnitzelheizung, wieder ein Flachwurzler weniger.

Nach dem jüngsten Sturm, der über Oberösterreich fegte, drängte sich die Frage auf, warum noch immer so viele Fichten aufgeforstet werden, wenn man doch weiß, dass sie aufgrund ihrer flachen Wurzeln und in Monokultur gepflanzt, die ersten Schadensopfer sein werden. Das liegt daran, sagte mir ein landwirtschaftlich erfahrener Freund, dass man den Ertrag dieses Baumes noch selbst erleben könne. Tiefwurzler pflanzt man für die nächste Generation.

Die Vorliebe für Flachwurzler scheint ein Phänomen unserer Zeit zu sein. Denken wir nur an die jüngste Finanzkrise. Da fielen die Banken wie die Bäume nach dem Sturm, richteten enormen Schaden an, und womit hat man aufgeforstet? Mit denselben Bäumen wie vorher. Sie heißen zum Beispiel Derivate und die Erträge sind zweistellige Renditen. Gelernt hat man offensichtlich wenig.

Ich will alles…

Da nützen offizielle Bekundungen wenig, dass jeder sich mehr „Tiefwurzler“, also besser abgesicherte Finanzgeschäfte, wünscht. Flachwurzler sind die Lieblinge der „Ich will alles und das sofort“-Gesellschaft.

Haben Tiefwurzler in einer temporeichen, globalen Wettbewerbsgesellschaft überhaupt noch eine Chance? Kinder sollen am besten schon mit fünf Jahren lesen, rechnen, schreiben und Klavierspielen können. Und wenn sie nicht freiwillig schnell wachsen, werden sie mit Nachhilfe und Förderungen angeschoben.

Trödeln, tagträumen, Wurzeln bilden, bitte, dafür haben wir keine Zeit. Der Mensch muss Ertrag bringen! Statt tief zu wurzeln in der eigenen Seele, der Geschichte der Familie, der Verbundenheit mit Menschen und Orten, der Heimat im Geistigen und Geistlichen, gibt es Instant-Ersatz durch Events, Spektakel, Internet-Communities und Light-Philosophien. Fast-Food in der Nahrung, Last-minute beim Urlaub und stand-by in Liebesdingen. Welchen Stürmen des Lebens hält solche Wurzelbildung stand?

Heerscharen von Therapeuten, Psychologen, Coaches und Sozialarbeitern richten die durch Lebensböen Umgeworfenen notdürftig wieder auf. Für Demagogen und Verführer sind monokulturelle Flachwurzel-Gesellschaften ein leichtes Spiel. Einmal hinein blasen mit großen Ängsten oder umwerfenden Versprechungen, schon liegt ihnen alles zu Füßen. In solcher Not versprechen Fundamentalisten und Ideologen sicheren Halt. Doch deren Wurzeln sind starr, mit Dogmen und Treueschwüren einzementiert.

Feste Wurzeln hingegen bieten Standfestigkeit und sind trotzdem beweglich, sie haben das Erdreich durchwurzelt und nicht verdichtet. Der Mensch ist zur Vernunft begabt, aber er muss sie leider nicht nützen. Wer würde sonst freiwillig auf starke Wurzeln verzichten?

die zeit vergeht…